Im Falle von Cannabisblüten zur Herstellung von blütenbasierten Rezeptur- oder Defekturarzneimitteln in der Apotheke wird dem Konzept, das für pflanzliche Arzneimittel in Europa etabliert ist nicht gefolgt. Die Situation ist dabei komplex und die Anforderungen der Behörden sind weder innerhalb von Deutschland noch zwischen den EU-Mitgliedsstaaten harmonisiert. Nur von einzelnen Behörden werden in Analogie zu den für Arzneitees etablierten Konzepten Cannabisblüten als Wirk- bzw. Ausgangsstoffe kategorisiert. Diese Einordnung setzt voraus, dass die Cannabisblüten dazu bestimmt sind, bei der Herstellung von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile verwendet zu werden oder bei ihrer Verwendung in der Arzneimittelherstellung zu arzneilich wirksamen Bestandteilen der Arzneimittel zu werden (vgl. § 4 Abs. 19 AMG). Das wäre dann der Fall, wenn die Cannabisblüten von Apotheken als Rezepturausgangsstoff verwendet werden und in der Apotheke wesentliche Herstellungsschritte stattfinden. Werden die Cannabisblüten in unveränderter Form abgegeben oder nur noch abgepackt bzw. umgefüllt, ist eine Einstufung als Wirkstoff eher fernliegend. In der Wertschöpfungskette wären dann im Sinne der Definitionen des Europäischen Arzneibuchs die geernteten Blütenstände als pflanzliche Drogen zu definieren, die geputzten bzw. gereinigten Blüten als die pflanzliche Zubereitung, also der Wirkstoff, aus dem dann durch wesentliche Herstellungsschritte in der Apotheke ein Rezeptur- oder Defekturarzneimittel wird. Die anfallenden Herstellungsschritte wären dann z. B. Prüfen, Mahlen, Klassieren, Chargendokumentation, Wiegen, Abpacken, Kennzeichnen und Freigabe. Das ist sehr gut mit der Herstellung von Arzneitees als Rezeptur- und Defekturarzneimittel vergleichbar, nur dass es für Cannabisblüten sachgerecht erscheint, die Grenze zwischen GACP und GMP bereits bei der Trocknung der Blüten oder Blütenstände zu ziehen. Zurzeit vertreten in Deutschland nur wenige für die Überwachung verantwortlichen Behörden diesen Standpunkt. Die meisten Behörden in Deutschland und auch einzelne EU-Mitgliedsstaaten betrachten Cannabisblüten und teilweise auch Zubereitungen wie Extrakte jedoch als intermediäres Arzneimittel (Bulk) zur Herstellung von Rezeptur- und Defekturarzneimitteln in der Apotheke.
Auch in diesem Konzept werden der Anbau und die ersten Verarbeitungsschritte des pflanzlichen Ausgangsmaterials als GACP-pflichtig bewertet. Die Herstellung des Wirkstoffs beginnt bei Cannabisblüten dann mit der Trocknung. Das bedeutet, die Verarbeitungsschritte zur Reinigung der Blüten, u. a. das Putzen der Blüten (sog. "trimming"), werden als Wirkstoffherstellung betrachtet und das folgende Verpacken und Kennzeichnen als erste Schritte zur Herstellung des (Bulk)-Arzneimittels. Bei Zubereitungen ist die Sichtweise der Abgrenzung zwischen Wirkstoffherstellung und Herstellung des (Bulk)-Arzneimittels nicht einheitlich. In jedem Fall entsteht dann durch die Herstellungsschritte in der Apotheke (z. B. Prüfen, Lagern, Mahlen, Klassieren, Chargendokumentation, Wiegen, Zerteilen, Abmessen, Abfüllen, Abpacken, Kennzeichnen und Freigabe) ein Rezeptur- oder Defekturarzneimittel. Diese Sichtweise widerspricht allerdings den in der EU etablierten Kategorien für die Herstellung pflanzlicher Arzneimittel und erscheint daher befremdlich. Bei keinem anderen pflanzlichen Arzneimittel wird die Wertschöpfungskette in dieser Form definiert. Es kann nachvollzogen werden, dass im Falle von Cannabisblüten die Trocknung einen kritischen Herstellschritt darstellt. Nur bei sachgerechter Trocknung werden die Akkumulationsstrukturen der Pflanze nicht zerstört und die Cannabinoide vor oxidativem Abbau geschützt sowie einem Verlust von Terpenen durch Verdampfen vorgebeugt. Wesentlichen Einfluss hat das Trocknungsverfahren auch auf mikrobiologische Sekundärkontaminationen und Keimwachstum und damit auch auf die mögliche Kontamination mit Mykotoxinen. Es erscheint daher sachgerecht, die Grenze zwischen GACP und GMP Teil II vor der Trocknung zu etablieren. Dass Behörden dann die Verpackung im Bulk zum Transport in den Großhandel und die Apotheken bereits als Schritte zur Herstellung eines Arzneimittels ansehen und deshalb eine Herstellung unter GMP Teil 1 fordern, mag dem Umstand geschuldet sein, dass sie dann eine weitaus bessere Kontrolle der Wertschöpfungskette haben, da in der EU nicht für Wirkstoffe, aber für Arzneimittel eine Import-und Großhandelserlaubnis erforderlich sind. Schließlich erfordern Arzneimittel eine vollständige, Annex-16-konforme EU-QP-Freigabe.
Im Falle der Cannabisextrakte erscheinen Abweichungen der in der EU etablierten Vorgaben besonders befremdlich. Bisher war ein pflanzlicher Extrakt in jedem Fall ein Wirkstoff, die Herstellung erfolgt unter GMP Teil II. Davon abweichend definieren deutsche (und auch europäische) Behörden Extrakte bereits als Arzneimittel. Es ist zu antizipieren, dass Extrakte wegen der besser kontrollierbaren Qualität, Chargenkonformität und Dosierbarkeit mittelfristig die Verwendung von Blüten ablösen werden. Es wird Extrakte zur Verdampfung geben und es werden zukünftig in den Apotheken unter Verwendung anderer Ausgangsstoffe Darreichungsformen als Rezepturarzneimittel hergestellt. Das ist nicht nur therapeutisch wünschenswert, sondern führt auch zu besser haltbaren und besser dosierbaren Darreichungsformen, beispielsweise Tabletten, Kapseln, topische Arzneiformen oder Zubereitungen zur Verdampfung. Für diese Herstellungsschritte erscheint es besonders abwegig, die Zubereitungen, also beispielsweise Extrakte, die als Wirkstoffe in der Apotheke verarbeitet werden, bereits als (Bulk)-Arzneimittel zu kategorisieren.
Im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Entwurf des Cannabisgesetzes hat die DPhG-Expertenfachgruppe "Medizinischer Cannabis" deshalb darauf hingewiesen, dass wegen der derzeitig nicht einheitlichen Verwaltungspraxis und widersprüchlichen Rechtsprechung folgende Klarstellungen dringend notwendig erscheinen und in entsprechende Vorgabedokumente einfließen sollten.
· (Importierte) Cannabisblüten mit der Zweckbestimmung der Abgabe als medizinisches Cannabis in Apotheken an Patienten sind Wirkstoffe im Sinne von §1 (1) 2. der AMWHV, sie erfüllen die Anforderungen an "Substanzen zur pharmazeutischen Verwendung" des Europäischen Arzneibuchs. Durch Be- bzw. Verarbeitungsschritte in der Apotheke werden sie zu Pharmazeutischen Zubereitungen, die nicht der Zulassung unterliegen entsprechend dem Europäischen Arzneibuch. Sie erfüllen die Qualitätsvorgeben der Monographie "Cannabisblüten" des Europäischen Arzneibuchs.
· (Importierte) Pflanzen, Pflanzenteile, Pflanzenbestandteile der Gattung Cannabis zur Herstellung von Zubereitungen aus Cannabis zu medizinischen Zwecken sind pflanzliche Drogen bzw. getrocknete pflanzliche Drogen im Sinne des Europäischen Arzneibuchs. Sie erfüllen die die Anforderungen der diesbezüglichen Monographie.
· (Importierte) Zubereitungen aus Cannabis zu medizinischen Zwecken mit der Zweckbestimmung der Herstellung von Pharmazeutischen Zubereitungen sind Wirkstoffe im Sinne von §1(1) 2. der AMWHV, sie erfüllen die Anforderungen an "Substanzen zur pharmazeutischen Verwendung" sowie der Monographie des Europäischen Arzneibuchs. Durch Be- bzw. Verarbeitungsschritte in der Apotheke werden Sie zu Pharmazeutischen Zubereitungen, die nicht der Zulassung unterliegen und entsprechen den diesbezüglichen Anforderungen im Europäischen Arzneibuch.
· Der Import von Pflanzen, Pflanzenteile, Pflanzenbestandteile der Gattung Cannabis mit medizinischer Zweckbestimmung oder zur Weiterverarbeitung zu Produkten mit medizinischer Zweckbestimmung, soweit sie nicht der medizinische-wissenschaftlichen Forschung dienen, erfordert eine schriftliche Bestätigung zur Einhaltung der Vorgaben der EU-GACP-Leitlinie.
Für die EFG
Prof. Dr. Markus Veit
Prof. Dr. Susanne Alban