Stellungnahme der DPhG Fachgruppe "Pharmazeutische Biologie" zur Verordnung von Cannabisblüten

Stellungnahme der DPhG Fachgruppe "Pharmazeutische Biologie" zur Verordnung von Cannabisblüten

Ist die Verordnung von Cannabisblüten medizinisch noch gerechtfertigt?

Fachgruppe "Pharmazeutische Biologie" der DPhG

Mit der Verfügbarkeit von Cannabis-Extrakten, gibt es zunehmend weniger medizinisch-pharmazeutische Gründe, Cannabisblüten zu verordnen. Standardisierte Extrakte können unter Einhaltung üblicher pharmazeutischer Qualitätskriterien sehr viel sicherer und reproduzierbarer zur Verfügung gestellt werden, so wie dies für pflanzliche Wirkstoffe seit langem etabliert ist. Daraus resultiert ein wesentlich besseres Nutzen-Risiko-Verhältnis. Bei der Verordnung von Blüten sollte das immer abgewogen werden und dabei auch berücksichtigt werden, dass es (einzelne) Patienten gibt, die von einer Therapie mit Cannabis-Blüten bisher stark profitiert haben. Folgende Aspekte sind relevant:

· In Deutschland sind mittlerweile mehr als 800 Cannabisblütensorten für die ärztliche Verschreibung verfügbar[1]. Diese Verfügbarkeit bedeutet allerdings nicht, dass die gewünschte Sorte auch lieferfähig ist. Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass es für die Vielzahl an Sorten und Varietäten ("Strains") keine ausreichende Evidenz für deren individuelle Anwendung gibt oder je geben wird. Damit kann es kaum eine rationale und evidenzbasierte Therapie geben. Für standardisierbare Extrakte wird so eine unübersichtliche und unbegründete Vielfalt an Spezifikation nicht zu erwarten sein.
· Den Anforderungen im Arzneibuch entsprechende Blüten enthalten definierte und auch chargenkonforme Gehalte an THC und CBD (+/- 10%); für die anderen Inhaltsstoffe (Neben-Cannabinoide, Terpene, Flavonoide u.a.) gilt das aber keineswegs. Damit repräsentieren sie kein chargenkonform herstellbares Arzneimittel. Im Gegensatz dazu ist es heute möglich, die Herstellung von Extrakten so zu steuern, dass in engen Grenzen schwankende chargenkonforme Produkte resultieren; das gilt auch für die nicht deklarierten Inhaltsstoffe (siehe nächster Punkt).
· Die anderen Inhaltsstoffe, wie u.a. Neben-Cannabinoide, Terpene und Flavonoide, können die Bioverfügbarkeit von THC und CBD beeinflussen, und Nebencannabinoide haben potenziell Wirkungen im Endocannabinoidsystem. Die Wirksamkeit der Blüten ist daher nicht nur von den deklarierten THC- und CBD-Gehalten abhängig, sondern vom kompletten Inhaltsstoffspektrum. Dieser Umstand ist ein signifikanter Unsicherheitsfaktor hinsichtlich der Wirksamkeit von Cannabisblüten, da diese weder hinsichtlich aller Inhaltsstoffe geprüft werden noch chargenkonform hergestellt werden können. Das gilt im Übrigen auch für das Verhältnis von Säuren und decarboxylierten Cannabinoiden. Dieser Aspekt steht demzufolge im Widerspruch zu einer kohärenten Therapie.
· Nicht zuletzt durch das in der Cannabisblüten-Branchezunehmend betriebene "GMP-Washing" [2] kommt es zu mikrobiologischen Belastungen von Blüten, die bei inhalativer Verabreichung zu erheblichen Risiken für Patienten/innen führen können. Um die mikrobiologische Kontamination zu reduzieren, werden Dekontaminationsverfahren verwendet, deren Qualifizierungs- und Validierungsstatus nicht selten zweifelhaft ist und die auch einen Einfluss auf die Inhaltsstoffe haben können. Zusätzlich besteht in Abhängigkeit vom Wassergehalt der Blüten ein Risiko der sekundären Verkeimung. Keines dieser Probleme ist für Extrakte relevant; für diese lassen sich die Anforderungen an die mikrobiologische Qualität laut Kapitel 5.1.4 des Europäischen Arzneibuches ohne weiteres erfüllen.
· Cannabisblüten werden von Patienten nicht selten geraucht, obwohl dies keine medizinisch gerechtfertigte Applikationsart darstellt. Extrakte können nicht geraucht werden. Sie können wie Blüten mit Devices nasal oder inhalativ verabreicht werden. Auf Basis von Extrakten können jedoch andere, übliche Darreichungsformen vielfältig entwickelt werden (siehe nächster Punkt).
· Darreichungsformen für pflanzliche Extrakte als Wirkstoffe sind als Arzneimittel gut etabliert. Es steht eine breite Palette an Darreichungsformen zur Verfügung (von dermalen, über orale, oromukosale bis zu nasalen), die zur Verabreichung von Extrakten genutzt werden können. Über die Formulierung lassen sich die biopharmazeutischen Eigenschaften gut steuern; die orale Bioverfügbarkeit der Cannabinoide kann beispielsweise so deutlich verbessert werden. Ferner kann in solchen Zubereitungen auch die Stabilität der Cannabinoide verbessert werden.
· Durch den Missbrauch medizinischer Verordnungen und illegale Praktiken bei der telemedizinischen Verordnung erhalten inzwischen Konsumenten Zugang zu medizinischem Cannabis, den sie lediglich zu Genusszwecken nutzen [3]. Diese Marktvermischung hat sich zum Nachteil für Patienten/innen entwickelt; u.a. werden sie mit telemedizinischen Angeboten nicht immer über die bestehenden Risiken der Therapie mit Cannabisblüten aufgeklärt.  

Die dargestellten Probleme und Risiken bei der medizinischen Verordnung von Cannabis könnten leicht überwunden werden, wenn Cannabisblüten für medizinische Zwecke nicht mehr verordnet werden (dürften). Mit der Verfügbarkeit von Extrakten wird der Weg dafür zunehmend geebnet. Solche Extrakte gibt es mittlerweile von einer zunehmenden Anzahl an Herstellern. Nun müssen dringend Möglichkeiten geschaffen werden, diese Extrakte in geeignete magistral hergestellte Darreichungsformen zu verarbeiten und an Patienten abgeben zu können. Im Sinne der Patientenversorgung bedarf es daher insbesondere einer Überarbeitung der im Sozialrecht verankerten Verordnungsfähigkeit für Darreichungsformen, die über einfache orale Lösungen hinausgehen und die notwendige Anpassung der Vorgaben für die Preisbildung in der Apotheke in der Hilfstaxe sowie der Arzneimittelpreisverordnung. Mit dieser komplexen Thematik hat sich die Expertenfachgruppe "Medizinischer Cannabis" der DPhG beschäftigt und alle wesentlichen Aspekte in einer Publikation zusammengetragen [4].

Vorsitzende der Fachgruppe Pharmazeutische Biologie:
Prof. Dr. Gregor Fuhrmann
Prof. Dr. Sebastian Günther

Im Namen der DPhG
Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Präsident

[1] Mitteilung vom Leiter der Bundesopiumstelle, Dr. Peter Cremer Schaeffer, beim Symposium von ACM, BPC und Medical Tribune 2024.
[2] Als "GMP-washing" bezeichnet man Praktiken mit denen die Anforderungen an eine GACP/GMP- konforme Herstellung von Cannabisblüten zur medizinischen Verwendung teilweise umgangen werden. Dabei werden Blüten, die nicht aus einer GMP- und/oder GACP-konformen Herstellung stammen (meist nicht vollständig getrocknet) als pflanzliche Rohmaterialen importiert, dann im europäischen Binnenmarkt unter GMP getrocknet und erhalten so das "Siegel" einer GMP-konformen Herstellung. Durch die nicht vollständige Trocknung besteht ein erhebliches Risiko für ein sekundäres mikrobielles Wachstum. Siehe dazu auch Veit, M. (2022) Medizinischer Cannabis und Cannabis-Arzneimittel in Deutschland - Spannungsfelder im Kontext von Herstellung, Prüfung, Inverkehrbringung und Abgabe Pharm. Ind. 84, Nr. 12,1368–1377.
[3] DPhG-Statement: Pharmakotherapie mit Cannabisblüten und anderen magistralen Zubereitungen -Therapieoption mit zu befürchtendem Wildwuchs infolge der Legalisierung (2024) https://www.dphg.de/artikel/dphg-statement-pharmakotherapie-mit-cannabisbluten-und-anderen-magistralen-zubereitungen
[4] Innovative Darreichungsformen für Cannabisarzneimittel Teil 1: Inhalative, orale und oromucosale Darreichungsformen. Pharm. Ind. 87, Nr. 1, 2–7 (2025) |Teil 2*): Topische, rektale, vaginale und nasale Darreichungsformen sowie allgemeine Herausforderungen Pharm. Ind. 87, Nr. 2, 2–8 (2025).

Bereits Mitglied?

Exklusive Vorteile für DPhG Mitglieder

Ihre Vorteile einer Mitgliedschaft bei der DPhG.

Chevron Icon - Medica Webflow Template

Heading

What’s a Rich Text element?

The rich text element allows you to create and format headings, paragraphs, blockquotes, images, and video all in one place instead of having to add and format them individually. Just double-click and easily create content.

Static and dynamic content editing

A rich text element can be used with static or dynamic content. For static content, just drop it into any page and begin editing. For dynamic content, add a rich text field to any collection and then connect a rich text element to that field in the settings panel. Voila!

How to customize formatting for each rich text

Headings, paragraphs, blockquotes, figures, images, and figure captions can all be styled after a class is added to the rich text element using the "When inside of" nested selector system.

Bereits Mitglied?

Exklusive Vorteile für DPhG Mitglieder

Ihre Vorteile einer Mitgliedschaft bei der DPhG.

Chevron Icon - Medica Webflow Template