Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sondern stellen eine besondere Patientengruppe dar. Da Kinder Medikamente im Körper langsamer, in manchen Fällen aber auch schneller als Erwachsene abbauen, genügt es nicht, Kindern Arzneimittel für Erwachsene in einer entsprechend geringeren Dosis zu verabreichen. Arzneimittelstudien mit Kindern, welche die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie belegen könnten, fehlen häufig, da man Kinder vor belastenden Untersuchungen schützen wollte oder weil Firmen womöglich aus Furcht vor negativen Schlagzeilen auf solche Studien verzichteten. „Es klingt paradox, aber der Wunsch, Kinder zu schützen, hat zur Gefährdung des kranken Kindes geführt“, sagte DPhG-Präsident Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz. Besonders gefährdet sind sehr kleine und sehr kranke Kinder. So erhalten etwa zwei Drittel aller stationär behandelten Kinder nur unzureichend geprüfte Arzneimittel. „Die Prüfung der Sicherheit und Wirksamkeit eines Medikaments in klinischen Studien muss auch für Kinderarzneimittel gelten“, forderte Schubert-Zsilavecz. Die Belastung für die Kinder muss dabei aber so gering wie möglich sein. Dies erreicht man z.B. durch den Einsatz „virtueller“, d.h. am Computer simulierter klinischer Studien, mit deren Hilfe man die Zahl der realen Studien deutlich verringern und die Zahl der an realen Studien teilnehmenden Kindern auf ein Minimum reduzieren kann.
Kindgerechte Arzneiformen sind eine Grundvoraussetzung für die effektive Behandlung von Krankheiten im Kindesalter. Bislang gibt es aber nur wenige Arzneimittel, die den Kriterien einer kindgerechten Zubereitung entsprechen. Dies wissen am besten die Eltern, denen es oft nur mit großen Mühen gelingt, ihren Kindern Medikamente sachgerecht zu verabreichen. „Die Apotheker engagieren sich hier sehr“, betonte Schubert-Zsilavecz, „denn wir haben eine sehr breite Palette unterschiedlichster innovativer Darreichungsformen entwickelt und könnten in Abstimmung mit dem Arzt für alle pädiatrischen Altersstufen, vom Säugling bis zum Jugendlichen, die jeweils beste Arzneiform vorhalten“. Nachholbedarf besteht auf Seiten der pharmazeutischen Unternehmer. Eine Gesetzesinitiative der Europäische Union aus dem Jahr 2007 schreibt zwar vor, dass der Hersteller bei der Entwicklung neuer Arzneistoffe für Kinder die Arzneimittel in einer „akzeptablen, leichten, sicheren oder effektiveren Form“ für die unterschiedlichen pädiatrischen Altersstufen (Frühgeborene, Neugeborene, Kleinkinder, Vorschulkinder, Schulkinder, Jugendliche) vorlegen muss.
Diese Vorschrift gilt aber nicht für die vielen Wirkstoffe, die bereits seit Jahren für Kinder eingesetzt werden und deren Patentschutz in der Regel abgelaufen ist. Die DPhG ist daher besorgt, dass die europäische Initiative zu keiner spürbaren Verbesserung der medikamentösen Versorgung von Kindern führen wird. Es fehlen hier gesetzliche Vorschriften sowie wirtschaftliche Anreize für die pharmazeutischen Hersteller, innovative, kindgerechte Arzneiformen auch für ältere Wirkstoffe in den Handel zu bringen.
Die DPhG sieht im Interesse der Kinder akuten Handlungsbedarf. Um die Beteiligten wachzurütteln, hat die DPhG ein ganzes Heft ihrer Zeitschrift „Pharmazie in unserer Zeit (PharmuZ)“ dem Thema Kinderarzneimittel gewidmet. In diesem Themenheft werden die Defizite aufgezeigt und Lösungsvorschläge gemacht. „Jetzt sind die Politiker und die Akteure im Gesundheitswesen gefordert, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir die Arzneimittel für Kinder sicherer und besser machen können“, sagte Schubert-Zsilavecz. „Wir sind das unseren Kindern schuldig.“
Rückfragen für die Presse: Dr. Michael Stein, Pressesprecher der DPhG, michael.stein@dphg.de, Tel. (069) 7191 596-14
Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft e.V. (DPhG) zählt mit über 9.000 Mitgliedern zu den großen wissenschaftlichen Gesellschaften in Deutschland. Die DPhG veranstaltet jährlich etwa 150 wissenschaftliche Vorträge für Apotheker, ist Herausgeber der Zeitschrift "Pharmazie in unserer Zeit" und fördert als unabhängige Gesellschaft die wissenschaftlichen Interessen der deutschen Pharmazie.