(22.06.2017). Das Statement zu Cannabis-Zubereitungen wurde auf der Basis der Beratungsergebnisse eines von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) zusammen mit dem House of Pharma & Healthcare, Frankfurt, veranstalteten Expertentreffens erstellt. Lesen Sie hier das Statement.
Mit dem Gesetz "Cannabis als Medizin", das als "Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften" Anfang März 2017 in Kraft getreten ist, hat die Bundesregierung für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen den Zugang zu Cannabis als Arzneimittel neu geregelt. Danach ist es für Patienten nun grundsätzlich möglich, neben dosisstandardisierten Fertigarzneimitteln mit Cannabisextrakt oder Cannabinoide enthaltenden Rezeptur- bzw. Fertigprodukten Cannabis auch als Droge in standardisierter Qualität für therapeutische Zwecke in Apotheken zu erhalten. Gleichzeitig wurde dem Eigenanbau die sachliche Begründung durch spezielle Regelungen zur Kostenerstattung entzogen.
In der öffentlichen politischen Debatte um den Einsatz von Cannabis als Arzneimittel, in die sich verschiedenste Interessensgruppen akzentuiert eingeschaltet haben, blieb jedoch die Frage über geeignete Zubereitungs- und Anwendungsformen weitgehend unberücksichtigt. Aus Sicht der medizinisch-pharmazeutischen Wissenschaften ist dies ein Versäumnis, das dringend behoben werden muss, um den Patienten eine adäquate Therapie gewährleisten zu können und sie vor Fehlanwendungen zu bewahren.
Vor diesem Hintergrund hatte das House of Pharma & Healthcare an der Goethe-Universität Frankfurt zusammen mit der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft zu einem Experten-Treffen eingeladen, um die wesentlichen Eckpunkte für eine rationale Pharmakotherapie mit Cannabisprodukten herauszuarbeiten, die den heutigen Ansprüchen an eine Behandlung mit pflanzlichen Arzneimitteln gerecht wird. Über die intensiven Beratungen und dabei erarbeitete Ergebnisse wurde bereits in der medizinischen und pharmazeutischen Fachpresse berichtet.
Darüber hinaus wurde von den Teilnehmern das folgende Statement erarbeitet. Der Vertreter des BfArM hat sich daran nicht beteiligt, um eventuelle Interessenkonflikte durch öffentliche Positionierung zu vermeiden. Gleiches gilt für die Vertreter pharmazeutischer Unternehmen, die durch diese Entscheidung den geladenen Experten eine von kommerziellen Interessen unabhängige Darstellung ermöglichen wollten.
Statement zu Cannabis-Zubereitungen
Cannabinoide sind potenziell hochwirksame Substanzen, die besonders in der weiblichen Hanfpflanze in hoher Konzentration vorkommen. Insgesamt konnten in Cannabis sativa L. mehr als 80 "Phytocannabinoide" unterschiedlicher Wirksamkeit identifiziert werden, die bisher nicht in anderen Pflanzen aufgefunden worden sind. Die intensive Forschung zum Wirkmechanismus dieser Substanzen hat schließlich zur Entdeckung des körpereigenen Endocannabinoid-Systems geführt, über das im Organismus mit Hilfe endogener Liganden wichtige Funktionen gesteuert werden.
Als Hauptinhaltsstoff der Hanfpflanze gilt Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), das über ein breites pharmakologisches Potenzial verfügt. THC wird in isolierter bzw. partialsynthetisch hergestellter Form als Dronabinol angeboten, für das Standard-Rezepturen u.a. im Neuen Rezeptur-Formularium (NRF) beschrieben sind. Mit solchen, pharmazeutisch eindeutig definierten Zubereitungen wird – analog zur Behandlung mit Fertigarzneimitteln – eine standardisierte, den heutigen Qualitätsansprüchen entsprechende Pharmakotherapie ermöglicht. Des Weiteren ist Cannabidiol (CBD) als Inhaltsstoff der Hanfpflanze bedeutsam und folglich wird die Qualität des Drogenmaterials nach seinem THC/CBD-Verhältnis beurteilt.
Augenscheinlich gehört Cannabis sativa L. zu der bis heute noch relativ kleinen Gruppe von Arzneipflanzen, deren wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe auch nach Isolierung und Verarbeitung z.B. in Tabletten ihre Wirksamkeit in der gewünschten Form entfalten. Andere Beispiele für solche Pflanzen sind der Fingerhut (Digitalis), der Schlafmohn (Morphin) oder die Tollkirsche (Atropin), deren isolierte Inhaltsstoffe in Tabletten verarbeitet therapeutisch eingesetzt werden.
Bei den meisten Phytopharmaka ist dies dagegen nicht der Fall. Da in diesen Fällen keine wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe identifiziert werden konnten, gilt die Arzneidroge als solche oder ein daraus hergestellter Extrakt als Wirkstoff. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass auch Begleitstoffe für den Therapieerfolg wichtig sein können – selbst wenn sie keine eigene Wirksamkeit entfalten –, indem sie die klinischen Effekte der als wirksam eingestuften Bestandteile verstärken oder sogar erst ermöglichen. Denkbar sind z.B. resorptionsfördernde Eigenschaften derartiger Inhaltsstoffe. Ob solche Aspekte auch bei Cannabis eine gewisse Rolle spielen, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden.
Bei der getrockneten Cannabis-Droge werden die als "Blüten" bezeichneten Triebspitzen therapeutisch angewendet. Dabei ist zu beachten, dass verschiedene Drogenmaterialien angeboten werden, die sich in ihren Inhaltsstoffen und vor allem dem Gehalt an THC bzw. CBD zum Teil erheblich unterscheiden. Schwankungen in den Gehalten dieser Inhaltsstoffe können zudem in Abhängigkeit von den Vegetationsbedingungen auftreten. Darüber hinaus spielt auch die Stabilität der Bestandteile eine entscheidende Rolle. Daher bedarf es einer spezifischen medizinischen Expertise und umfangreichen therapeutischen Erfahrung, gezielt dasjenige Cannabis-Dogenmaterial zu verordnen, das für den jeweiligen Patienten und seine Erkrankung optimal ist – ein in der Praxis schwieriges Unterfangen.
Die Expertenrunde kam einvernehmlich zu dem Schluss, dass angesichts der potenziellen Schwankungen im Gehalt der relevanten Inhaltsstoffe eine Pharmakotherapie mit der Arzneidroge nicht optimal ist. Wesentliche Elemente einer rationalen Arzneibehandlung erscheinen so nicht gegeben. Dies gilt insbesondere für die wichtige exakte Dosierung von Applikation zu Applikation, wofür Anwendungsformen erforderlich sind, die in dieser Hinsicht gleichförmige Bedingungen garantieren.
Somit sind standardisierte Rezepturarzneimittel beziehungsweise Fertigpräparate sowohl aus medizinischer als auch aus pharmazeutischer Sicht eindeutig zu bevorzugen. Mit Blick auf die Entwicklung eines für die jeweilige Erkrankung optimalen Arzneimittels spielen die biopharmazeutischen Eigenschaften der Arzneizubereitung eine entscheidende Rolle. Sie müssen von Fall zu Fall a priori aus therapeutischer Sicht festgelegt werden. Die Experten haben sich daher ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob mit dem Einsatz der Cannabis-Zubereitungen in den verschiedenen Indikationen eine rasche Anflutung der Wirkung erzielt werden sollte oder ob eher gleichmäßige, länger anhaltende Effekte erwünscht wären. Prinzipiell ließen sich solche unterschiedlichen Wirkprofile im Fall von Cannabis durch verschiedene Applikationsformen recht einfach realisieren: Während mit der inhalativen oder auch der nasalen Anwendung eine rasche Resorption der Wirkstoffe und damit eine sehr schnell einsetzende Wirkung erreicht werden kann, kommen für gleichmäßigere und vor allem länger anhaltende Wirkungen eher orale Zubereitungen infrage.
Die mit der medizinischen Anwendung von Cannabis sehr erfahrenen Therapeuten in der Expertenrunde positionierten sich in dieser Frage eindeutig: Aus ihrer Sicht gibt es keine durch systematische klinische Studien belegte – oder durch ihre eigenen therapeutischen Erfahrungen gestützte – Rationale für die Notwendigkeit, einen sehr raschen Wirkungseintritt erreichen zu wollen. Insofern sprachen sie sich übereinstimmend dafür aus, dass in der ärztlichen Praxis eher die orale Verabreichung als die inhalative Anwendung sinnvoll sei.
Die Expertenrunde beklagte, dass es bisher nur wenige Fertigarzneimittel mit Cannabinoiden gibt, die noch dazu jeweils nur für spezielle Indikationen zugelassen sind. Ihre Anwendung bei anderen Indikationen, bei denen der Einsatz von Cannabis erwogen werden könnte, ist daher als Off-Label-Use zu bewerten. Dieses Faktum sei in Erwartung des nach der Gesetzesänderung verstärkten Einsatzes von Cannabis in der Therapie unerfreulich. Vor diesem Hintergrund sprach sich die Expertenrunde nachhaltig dafür aus, dass nunmehr konzertierte Anstrengungen unternommen werden sollten, um möglichst bald zugelassene Fertigarzneimittel für die wesentlichen Indikationen zu erhalten. Nur so könne der bestenfalls suboptimale Einsatz von Cannabis in Form der Droge – selbst wenn diese in standardisierter Arzneibuchqualität zur Anwendung kommt – eingeschränkt und durch eine rationale Pharmakotherapie mit definierten Rezeptur- oder Fertigarzneimitteln ersetzt werden.
Dieses Ziel sollte in enger Abstimmung zwischen den interessierten pharmazeutischen Unternehmen und dem BfArM (und ggf. anderen Zulassungsbehörden) angestrebt werden. Trotz der aktuellen Dringlichkeit dürften dabei die allgemein anerkannten Standards für die Zulassung von pflanzlichen Arzneimitteln in der Europäischen Union nicht ignoriert werden, sondern müssten konsequent berücksichtigt werden. Eine vereinfachte "Zulassung zweiter Klasse" wäre nicht adäquat. Auf der anderen Seite sollten aber auch die vielfältigen Hinweise und Befunde aus der bisherigen und der aktuellen klinischen Anwendung von Cannabis nicht unberücksichtigt bleiben. Die dann noch erforderlichen klinischen Untersuchungen sollten unter Berücksichtigung der spezifischen Indikationen und der hierfür optimal erscheinenden Inhaltsstoffe zeitnah vom BfArM mit der pharmazeutischen Industrie sowie medizinischen und pharmazeutischen Experten auf diesem Gebiet diskutiert und im wissenschaftlichen Konsens festgelegt werden. Eine solche Abstimmung sei im originären Interesse der Patienten, deren Arzneibehandlung mit Cannabis dringend auf ein den heutigen Standards entsprechendes Niveau gebracht werden müsse.
Die nachfolgend genannten Teilnehmer der Expertenrunde haben zur Ausarbeitung des Statements beigetragen und unterstützen die darin formulierten Empfehlungen:
Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel
Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt
Prof. Dr. Robert Fürst, Frankfurt
Prof. Dr. Burkhard Hinz, Rostock
Dr. Johannes Horlemann, Kevelaer
Dr. Michael Hörnig, Eschborn
Prof. Dr. Matthias Karst, Hannover
Dr. Andreas Kiefer, Berlin
Prof. Dr. Stefan Laufer, Tübingen
Dr. Silvia Mieke, Frankfurt
Dr. Holger Reimann, Eschborn
Dr. Otto-Quintus Russe, Frankfurt
Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt
Dr. Dagmar Walluf-Blume, Berlin
Dr. Ralph-Steven Wedemeyer, Oberursel
Dr. Ilse Zündorf, Frankfurt